Ellis Is.
Programme Note
Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geht eine ungeheure Hoffnung durch Europa: für alle
ausgebeuteten und unterdrückten, durch Jahre des Mangels und der Hungersnot dezimierten Völker
zeichnet sich auf einmal ein gelobtes Land ab: Amerika. Zu Millionen schiffen sie sich ein für eine
Reise ohne Wiederkehr und jahrzehntelang ist die letzte Etappe dieser nie dagewesenen
Massenauswanderung eine kleine Insel namens Ellis Island, auf der die Einwanderungsbehörden der
Vereinigten Staaten ihr Auffanglager errichtet haben. Auf der schmalen Sandbank an der Mündung
des Hudson, nur wenige Seemeilen von der neuen Freiheitsstatue entfernt, finden für kurze Zeit alle
zusammen, die seitdem die amerikanische Nation gebildet haben. Von 1892 bis 1924 werden
annähernd sechzehn Millionen Menschen durch Ellis Island geschleust . Die meisten bleiben nur
einige Stunden dort.
Die Geschichte von Ellis Island ist Inspiration und Metapher für das zweite Stück, daß die Tänzerin
Katja Büchtemann und der Komponist Achim Bornhöft gemeinsam unter dem vorläufigen
Projektnamen "Die Folgen der Fortsetzung" realisieren. Durch den behutsamen Einsatz multimedialer
Technik versuchen sie erneut, die poetischen Möglichkeiten experimenteller Bühnenkunst auszuloten.
6 Tänzer und Tänzerinnen, begleitet von Chor und Tonband finden sich, als Menschen
unterschiedlichster Herkunft an einem abgeschlossenen Ort wieder, um sich der einen, gleichen
Prüfung zu unterziehen, die über ihre Zukunft und damit über ihre Hoffnungen und Visionen
entscheidet. In dieser Zone mit ihren eigenen, unbekannten Gesetzen blicken sie auf ihr bisheriges
Leben zurück, bevor sie an verschiedenen Stationen Rituale durchlaufen, in denen sie ihre Herkunft,
ihre Geschichte und Tradition zu vergessen versuchen, um dem Menschenbild zu entsprechen,
welches ihnen den Eintritt in ein neues Leben an einem neuen Ort gestattet. In diesem Bestreben
nähern sie sich einander an und erleben so die erste Solidarität in einer Gemeinschaft von
Heimatlosen. Am Ende bleibt ein verlassener Ort zurück und mit ihm die Geschichten der Menschen,
deren Lebensweg hier getrennt wurde in Vergangenes und Zukünftiges.